BAG-Urteil vom 23.01.2018 — 3 AZR 359/16
Das von § 30g Abs. 2 S. 2 BetrAVG geforderte Einvernehmen liegt vor, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren, dass sich die zugesagten Leistungen der bAV nach einer bereits bestehenden Versorgungsordnung richten, die eine Berechnung der unverfallbaren Anwartschaft nach § 2 Abs. 5 BetrAVG anordnet.
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, das Versorgungskapital des Klägers nach Eintritt des Sicherungsfalls zu verzinsen.
Dem 1967 geborenen Kläger wurde zu Beginn seines Arbeitsverhältnisses am 12.12.1994 seitens seiner Arbeitgeberin eine Versorgungszusage in Form einer beitragsorientierten Leistungszusage erteilt.
Durch Gesamtbetriebsvereinbarung vom 16.10.2003 wurde sinngemäß geregelt, dass für die Versorgungsberechtigten jeweils ein Versorgungskonto eingerichtet wird, in das die Beiträge gezahlt und dort bis zum Eintritt des Versorgungsfalls verzinst werden. Bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls bleibt die betriebliche Versorgungsanwartschaft unter Berücksichtigung der gesetzlichen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen erhalten. Für die Berechnung der Höhe der gesetzlich unverfallbaren Anwartschaften wurde auf die gesetzlichen Bestimmungen verwiesen.
Durch eine zweite Betriebsvereinbarung vom 16.10.2003 wurde geregelt, dass bereits bestehende Anwartschaften unter Besitzstandswahrung in die erste Gesamtbetriebsvereinbarung integriert werden. Abweichend von der ersten Betriebsvereinbarung wurde sinngemäß vorgesehen, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versorgungsfalls und Erfüllung der gesetzlichen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen, die aus der Altregelung integrierten Besitzstände gemäß § 2 Abs. 1 BetrAVG zeitanteilig aufrechterhalten werden.
Am 04.01.2005 schlossen die Arbeitgeberin und der Kläger mit Wirkung zum 01.01.2005 zusätzlich folgende Vereinbarung:
„Ihre betriebliche Altersversorgung richtet sich nach den jeweils gültigen Gesamtbetriebsvereinbarungen.“
Zu diesem Zeitpunkt galten die Gesamtbetriebsvereinbarungen vom 16.10.2003 bereits.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete vor Eintritt des Versorgungsfalls mit Ablauf des 30.11.2006.
Der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) als Träger der Insolvenzsicherung lehnte eine Verzinsung der erworbenen Anwartschaften des Klägers ab Eintritt des Sicherungsfalls ab.
Das Arbeitsgericht Köln wies die Klage als unbegründet ab (ArbG Köln, Urteil vom 22.04.2015 — 13 Ca 9966/14). Die Berufung des Klägers wies das Landesarbeitsgericht Köln zurück (LAG Köln, Urteil vom 18.03.2016 — 9 Sa 728/15). Letztinstanzlich hatte die Revision des Klägers ebenfalls keinen Erfolg.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass der beklagte PSVaG nicht verpflichtet ist, das Versorgungskapital nach Eintritt des Sicherungsfalls bis zum Eintritt des Versorgungsfalls zu verzinsen.
Zwar müsse der Beklagte grundsätzlich nach § 7 Abs. 2 BetrAVG für die Versorgungsanwartschaft des Klägers nach der Versorgungszusage eintreten. Die Eintrittspflicht des PSVaG erfasse jedoch keine Verzinsung. Dies ergebe sich aus § 7 Abs. 2 S. 3 und S. 4 iVm § 2 Abs. 5 BetrAVG.
Nach § 7 Abs. 2 S. 3 BetrAVG richte sich die Höhe des Anspruchs grundsätzlich nach § 2 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2 BetrAVG, es sei denn § 2 Abs. 5 BetrAVG sei ausnahmsweise anwendbar. Laut BAG ist
§ 2 Abs. 5 BetrAVG im vorliegenden Fall anwendbar.
Gemäß § 30g Abs. 2 S. 1 BetrAVG gelte § 2 Abs. 5 BetrAVG zwar nur für Anwartschaften, die auf Zusagen beruhen, die nach dem 31.12.2000 erteilt worden sind. Allerdings könne § 2 Abs. 5 BetrAVG auf davor erteilte Zusagen angewendet werden, wenn zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dahingehend Einvernehmen bestehe, § 30g Abs. 2 S. 2 BetrAVG.
Dieses Einvernehmen wurde nach Ansicht des BAG durch den Abschluss der Vereinbarung vom 04.01.2005 erzielt. Durch den Abschluss hätten der Kläger und seine Arbeitgeberin die Anwendung der Gesamtbetriebsvereinbarungen und damit die Anwendung des § 2 Abs. 5 BetrAVG für die Berechnung der unverfallbaren Anwartschaft festgelegt. Nach Ansicht des BAG ist der in der ersten Gesamtbetriebsvereinbarung enthaltene Verweis auf die „gesetzlichen Bestimmungen“ dahingehend auszulegen, dass die Berechnung der Höhe der gesetzlich unverfallbaren Anwartschaften nach § 2 Abs. 5 BetrAVG erfolgt. Der gesetzliche Insolvenzschutz bestehe demnach für die Anwartschaft des Klägers in der Höhe, die sich unter Zugrundelegung von § 2 Abs. 5 BetrAVG ergebe.
Eine Regelung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Verzinsung von Anwartschaften für die Zeit nach dem vorzeitigen Ausscheiden des Arbeitnehmers stelle zwar eine zugunsten des Klägers vom Gesetz abweichende und damit insoweit grundsätzlich zulässige Vereinbarung dar. Allerdings entfalte eine solche Regelung keine Wirkung zulasten des PSVaG, da die Regelungen über den Insolvenzschutz nicht zur Disposition der Vertrags-, Betriebs- oder Tarifpartner stünden.
Eine weitere Verzinsung der Anwartschaft nach Eintritt des Sicherungsfalls erfolge demnach nicht.
Das BAG hat zwar offen gelassen, ob das in § 30g Abs. 2 S. 2 BetrAVG geforderte Einvernehmen auch in dem Abschluss einer für Arbeitgeber und Arbeitnehmer unmittelbar und zwingend geltenden Betriebsvereinbarung liegen kann. Das BAG sieht dies allerdings als zweifelhaft an.
Ebenfalls offen bleibt, ob es für die Anwendung von § 30g Abs. 2 BetrAVG auf die erstmalige Erteilung einer Versorgungszusage an sich oder die erstmalige Erteilung der beitragsorientierten Leistungszusage ankommt.