bAV Nachrichten

Änderung einer Anpassungsregelung

Geschrieben von Marco Westermann | 20.10.17 11:32

BAG Urteil vom 11.07.2017

— 3 AZR 601/16
Veränderungen der Anpassungsregelungen in einer Versorgungsordnung sind im bestehenden Arbeitsverhältnis anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu prüfen.
Dreistufiges Prüfschema ist nur bei Eingriffen in die Höhe von Versorgungsanwartschaften anwendbar. Rechtfertigung für den Eingriff in die Anpassungsregelungen müssen im inneren Zusammenhang mit diesem stehen.

Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, nach welcher Regelung sich die Anpassung des Ruhegeldes des Klägers richtet. Der Kläger war vom 01.04.1963 bis 30.04.2009 als Arbeitnehmer bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt. Seit 01.05.2009 bezieht er ein betriebliches Ruhegeld. Die bAV der Rechtsvorgängerin der Beklagten richtete sich zunächst nach der Betriebsvereinbarung Soziale Richtlinien vom 01.07.1986. Darin war für die Anpassung des Ruhegeldes Folgendes geregelt:
„Die Ruhegeldberechnung wird zu bestimmten Zeitpunkten jeweils der Entwicklung der Gehaltstarife angepasst.“ Nach einem 2002 erfolgten Betriebsübergang wurde mit Wirkung zum 01.07.2005 eine die Betriebsvereinbarung Soziale Richtlinien abändernde Betriebsvereinbarung beschlossen. Diese enthielt u.a. folgende neue Regelung: 
„Die Festlegung der Höhe des Anpassungssatzes erfolgt unter Berücksichtigung der Entwicklung der Gehaltstarife, der Lebenshaltungskosten bzw. der Realeinkommen sowie der wirtschaftlichen Lage der Arbeitgeberin.“ Mit seiner Klage begehrte der Kläger u.a. die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, die Anpassung der laufenden Ruhegeldbezüge lediglich unter Berücksichtigung der Entwicklung der Gehaltstarife nach der Betriebsvereinbarung Soziale Richtlinien durchzuführen. Das Arbeitsgericht Hamburg wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers sprach das Landesarbeitsgericht Hamburg die begehrte Feststellung aus. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.

Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Beklagte verpflichtet sei, für die Erhöhung des laufenden Ruhegeldes des Klägers jeweils die Steigerung der Gehaltstarife nach der Betriebsvereinbarung Soziale Richtlinien zugrunde zu legen. Diese Betriebsvereinbarung gelte nach dem Betriebsübergang gem. §  613a Abs. 1 BGB fort. Sie sei insoweit nicht durch die neue Betriebsvereinbarung abgelöst worden. Die Neuregelung der Betriebsvereinbarung greife in die Versorgungsrechte des Klägers ein, soweit sie die Anpassung künftig „unter Berücksichtigung der Entwicklung der Gehaltstarife, der Lebenshaltungskosten bzw. der Realeinkommen sowie der wirtschaftlichen Lage der Arbeitgeberin“ vornehme. Denn daraus ergebe sich die Gefahr, dass eine Anpassung vollständig unterbleiben oder hinter der Gehaltsentwicklung zurückbleibe könne. Dies sei ein Eingriff in die bestehenden Versorgungsrechte des Klägers. Die ablösende Betriebsvereinbarung müsse daher an den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gemessen werden. Das diese Grundsätze präzisierende dreistufige Prüfungsschema sei allerdings nicht auf Eingriffe in Anpassungsregelungen von Versorgungsordnungen im bestehenden Arbeitsverhältnis, sondern nur auf Eingriffe in die Höhe von Versorgungsanwartschaften, anwendbar. Der Eingriff durch die Anpassungsregelung könne daher nur durch Gründe gerechtfertigt werden, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Eingriff stünden. Rechtfertigende Gründe für die Neuregelung lägen aber nicht vor.

Hinweis:
1. Zur bisherigen Rechtsprechung:
Das Bundesarbeitsgericht hat damit seine bisherige Rechtsprechung fortentwickelt (BAG vom 28.06.2011 — 3 AZR 282/09). Damals hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Änderung der Anpassungsregelungen einer Versorgungsordnung dahingehend, dass erstmals die wirtschaftliche Lage des Versorgungsschuldners bei der Anpassungsentscheidung berücksichtigt werden kann, solcher Gründe bedarf, die gerade diesen Eingriff tragen. Es muss daher ein innerer Zusammenhang zwischen der Regelung, die die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers berücksichtigt und den Gründen für die Anpassung bestehen.

2. Zum dreistufigen Prüfungsschema:

Laut Bundesarbeitsgericht muss eine ablösende Betriebsvereinbarung an den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gemessen werden. Diese Grundsätze wurden durch das Bundesarbeitsgericht durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert. Dieses wird in ständiger Rechtsprechung bei Eingriffen in die Höhe von Versorgungsanwartschaften angewendet (Rechtsprechung seit BAG 17.04.1985 — AZR 72/83). Soweit demnach ein Eingriffsgrund besteht, sind die Besitzstände der bisher begünstigten Arbeitnehmer zu beachten; die Bestandsinteressen der bisher begünstigten Arbeitnehmer sind mit den Änderungsinteressen der Betriebspartner abzuwägen. Je gewichtiger die Änderungsinteressen sind, desto tiefere Einschnitte in die Besitzstände sind möglich. Der Besitzstand nach der alten Regelung wird dabei in drei Stufen aufgeteilt. Maßgeblich ist die bereits erdiente und erdienbare Versorgung. Die erste Besitzstandsstufe ist der am Änderungsstichtag gem. § 2 Abs. 1, Abs. 5 S. 1 BetrAVG erdiente Teilbetrag. Es wird so getan, als ob der Arbeitnehmer am Änderungsstichtag ausgeschieden wäre. Ein Eingriff in die erste Besitzstandsstufe ist nur durch zwingende Gründe (z.B. Eintreten einer planwidrigen Überversorgung) zu rechtfertigen. Die zweite Besitzstandsstufe berücksichtigt die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die bis zum Änderungszeitpunkt erbracht wurde und die darauf entfallende Dynamik der Versorgungsanwartschaft. Eingriffe in diese Besitzstandsstufe können durch triftige Gründe (z.B. schlechte wirtschaftliche Lage) gerechtfertigt werden. Die dritte Besitzstandsstufe bezieht sich auf die noch erdienbaren Versorgungsteilbeträge, die in der Zeit nach dem Änderungsstichtag erworben werden können. Da die Gegenleistung „Betriebstreue“ noch nicht erbracht ist, ist die dritte Besitzstandsstufe weniger schützenswert. Der Eingriff kann durch sachlich-proportionale Gründe (z.B. Harmonisierung unterschiedlicher Versorgungssysteme) gerechtfertigt werden.