Sachverhalt (vereinfacht dargestellt):
Die Parteien streiten um die Zahlung einer betrieblichen Invalidenrente vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Gemäß der Betriebsvereinbarung des beklagten Arbeitgebers erhält ein Mitarbeiter u.a. dann Invalidenrente, wenn er „berufsunfähig“ oder „erwerbsunfähig“ ist und „er aus diesen Gründen aus den Diensten […] ausgeschieden ist, ohne daß vorher sein Arbeitsvertrag gekündigt worden ist“.
Dem Kläger wurde rückwirkend ab dem 01.02.2020 eine gesetzliche Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt. Ab dem 01.09.2021 leistete der Beklagte die betriebliche Invalidenrente.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Zahlung der betrieblichen Invalidenrente bereits ab Februar 2020.
Der Kläger ist der Ansicht, bei der Versorgungszusage handele es sich nicht um eine Betriebsvereinbarung, vielmehr unterliege diese einer Auslegung und Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Der vollständige Ausschluss einer Invalidenrente vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei unangemessen benachteiligend.
Die Vorinstanzen – zuletzt das Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 21.09.2022 (4 Sa 428/22) – haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.
Entscheidung:
Das BAG entschied, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine Invalidenrente ab 01.02.2020 hat. Er sei zwar seit dem 01.02.2020 erwerbsunfähig i.S.d. Betriebsvereinbarung gewesen, aber demnach nicht vor dem 01.09.2021 aus den Diensten des Beklagten ausgeschieden. Auf – die hier vorliegende – Betriebsvereinbarung seien die für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) geltenden Vorschriften gemäß § 310 Abs. 4 S. 1 BGB nicht anwendbar. Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend, § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG. Unklarheiten seien v.a. nach Wortlaut, Sinn und Zweck auszulegen. Laut BAG sind die in der Betriebsvereinbarung verwendeten Begriffe „berufsunfähig“ und „erwerbsunfähig“ – mangels eigener Definition – in der Regel als Bezugnahme auf das jeweils geltende Sozialversicherungsrecht zu verstehen (vgl. BAG, Urteil v. 10.10.2023 – 3 AZR 250/22; BAG, Urteil v. 13.07.2021 – 3 AZR 445/20). Die weitere Auslegung ergebe, dass das Arbeitsverhältnis nicht nur vorübergehend ruhen, sondern rechtlich beendet sein müsse, da ein „Ausscheiden aus den Diensten“ erforderlich sei und die Erwerbsunfähigkeit an das Ausscheiden knüpfe, „ohne dass der Arbeitsvertrag gekündigt worden sei“.
Auch im Rahmen der durchzuführenden Gesamtabwägung sei die Regelung nicht unverhältnismäßig.
Zwar beschränke die Regelung die Berufsfreiheit, da für den Bezug der Invalidenrente die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorausgesetzt werde, allerdings könne der Arbeitgeber dadurch Doppelleistungen vermeiden und für ihn eine gewisse Planungssicherheit hergestellt werden. Die erforderliche rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses greift laut BAG jedenfalls dann nicht unverhältnismäßig in die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitnehmer ein, wenn die Invalidität durch den gesetzlichen Rentenbescheid nachgewiesen ist. So werde kein unzumutbarer Druck zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeübt (vgl. BAG, Urteil v. 10.10.2023 – 3 AZR 250/22; anders BAG, Urteil v. 13.07.2021 – 3 AZR 298/20, aber Prüfung nach AGB-Recht). Der Arbeitgeber sei auch sonst nicht verpflichtet, einen zeitlichen Gleichklang mit dem (rückwirkenden) Bezugsbeginn der sozialversicherungsrechtlichen Erwerbsminderungsrente herzustellen (vgl. BAG, Urteil v. 10.10.2023 – 3 AZR 250/22; BAG, Urteil v. 13.07.2021 – 3 AZR 298/20).
Hinweis:
Noch 2021 hatte das BAG entschieden, dass das Erfordernis der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses den Versorgungsberechtigten i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen benachteilige (BAG, Urteil v. 13.07.2021 – 3 AZR 298/20). Dies wurde teilweise so gedeutet, dass es nach Ansicht des BAG generell unzulässig wäre, eine Invaliditätsversorgung erst nach dem Ausscheiden des Mitarbeiters zu zahlen. Allerdings lag dieser Entscheidung eine sehr speziell gestaltete Regelung zugrunde. Denn hiernach musste die Berufsunfähigkeit ab Ende des Beschäftigungsverhältnisses für die Dauer von mindestens einem Jahr bestehen, um Anspruch auf die Invaliditätsversorgung zu haben. Erforderlich war also die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, ohne zu wissen, ob ein Anspruch auf die betriebliche Invaliditätsversorgung überhaupt besteht.
Mit Urteil vom 10.10.2023 (3 AZR 250/22) machte das BAG dann deutlich, dass die Zusage einer betrieblichen Invaliditätsrente in einer Versorgungsordnung grundsätzlich vom Bezug einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente und dem rechtlichen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abhängig gemacht werden darf und gerade keine unangemessene Benachteiligung der Versorgungsberechtigten i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB darstelle. Dies betraf eine in AGB enthaltene Versorgungsregelung. Im Unterschied zum davor genannten Fall, betraf diese Entscheidung den Fall, dass die Berufsunfähigkeit bei Ausscheiden schon feststeht.
Im zugrundeliegenden Urteil vom 21.11.2023 hielt das BAG dieses Ergebnis dann auch außerhalb des AGB-Rechts fest. Im Unterschied zum kurz davor erlassenen Urteil vom 10.10.2023 ging es im zugrundeliegenden Fall nämlich nicht um AGB, sondern um eine Betriebsvereinbarung, also um eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und dem Betriebsrat und eben nicht um einseitig vom Arbeitgeber formulierte Vertragsbedingungen. Für Betriebsvereinbarungen gilt nach § 310 Abs. 4 S. 1 BGB kein AGB-Recht, sondern wegen ihres normativen Charakters die für Tarifverträge und für Gesetze geltenden Grundsätze. Auch hiernach kann die Invaliditätsversorgung aber in der Regel wirksam vom Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abhängig gemacht werden.
Die beiden Urteile aus 2023 erhöhen damit die Rechtssicherheit bei der Berufsunfähigkeitsversorgung.
Das Urteil reiht sich – wie aufgezeigt – in eine Vielzahl von Urteilen zur Berufsunfähigkeitsversorgung in betrieblichen Versorgungsordnungen ein (z.B. BAG, Urteil v. 10.10.2023 – 3 AZR 250/22; BAG, Urteil v. 23.03.2021 – 3 AZR 99/20; BAG, Urteil vom 13.07.2021 – 3 AZR 298/20; BAG, Urteil v. 13.07.2021 – 3 AZR 445/20) (Wir haben an entsprechender Stelle berichtet).
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