Marco Westermann - 29 Apr 2016

BAG bestätigt einseitige Ablösbarkeit von Gesamtzusagen

ArbG sagt mit einer Gesamtzusage im Regelfall nur eine Versorgung nach den jeweils geltenden Versorgungsregeln zu

Neuregelung auch ohne Änderungskündigung möglich

Vertrauens- und Verhältnismäßigkeitsgrundsätze (3-Stufen-Theorie) sind zu berücksichtigen


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 23.02.2016 (3 AZR 960/13) seine Kehrtwendung in der Rechtsprechung zur Ablösbarkeit von Gesamtzusagen bestätigt. Eine Gesamtzusage könne grundsätzlich unter Berücksichtigung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit geändert werden.

Ein Arbeitgeber, der Leistungen der bAV im Wege einer Gesamtzusage verspricht, wolle diese nach einheitlichen Regeln, d.h. als System erbringen. Aufgrund der Anlage solcher Regelungen auf einen längeren unbestimmten Zeitraum, seien diese für die Begünstigten erkennbar einem möglichen künftigen Änderungsbedarf ausgesetzt. Ein solches System dürfe nicht erstarren. Der Arbeitgeber sagt nach Ansicht des Senats im Regelfall (es sei denn, es ist ausdrücklich anders geregelt) nur eine Versorgung nach den jeweils bei ihm geltenden Versorgungsregeln zu. Nur so werde eine einheitliche Anwendung der Versorgungsordnung auf alle Arbeitnehmer und Versorgungsempfänger sichergestellt. Dem Arbeitgeber stehe daher auch ohne Änderungskündigung eine Neuregelung offen.

Der Senat betont jedoch, dass die gegebene Änderungsmöglichkeit den Arbeitgeber jedoch nicht zu beliebigen Eingriffen in die Besitzstände der Arbeitnehmer berechtigt. Der Gebrauch des Änderungsvorbehalts unterliegt der Rechtskontrolle. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit dürfen nicht verletzt werden. Der angenommene Änderungsvorbehalt sei auch nur unter diesen Einschränkungen überhaupt AGB-rechtlich nach § 308 Nr. 4 BGB wirksam. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit sind durch das BAG im Wege eines dreistufigen Prüfungsschemas präzisiert worden. Den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer stehen dabei unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüber. Der unter der Geltung der bisherigen Ordnung und in dem Vertrauen auf deren Inhalt bereits erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 S. 1 BetrAVG ermittelte Teilbetrag könne hiernach nur in seltenen Ausnahmefällen entzogen werden. Das setze zwingende Gründe voraus. Zuwächse, die sich — etwa bei endgehaltsbezogenen Zusagen — dienstzeitabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik) können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden. Für Eingriffe in dienstzeitabhängige, noch nicht erdiente Zuwachsraten genügen sachlich-proportionale Gründe.

Bewertung

Für die Praxis bringt die Fortentwicklung der Rechtsprechung erhebliche Erleichterungen mit sich. Bislang waren einschränkende oder auch nur umstrukturierende Neuordnungen von individualrechtlich begründeten Versorgungssystemen größerer Belegschaften ohne Betriebsrat faktisch kaum flächendeckend umsetzbar. Stimmten die Versorgungsberechtigten einer Änderung nicht zu, stand dem Arbeitgeber neben dem seltenen Fall der Störung der Geschäftsgrundlage nur der wenig Erfolg versprechende Weg der (Massen-)Änderungskündigung offen, bei dem für alle betroffenen Versorgungsberechtigten sämtliche Kündigungsvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Den Unternehmen blieb daher im Wesentlichen nur die Möglichkeit der Schließung des Versorgungssystems, ggf. verbunden mit einer neuen, geänderten Versorgungszusage für neue Mitarbeiter. Dies verhinderte die einheitliche Fortsetzung des ursprünglich für alle Mitarbeiter im Unternehmen auch einheitlich eingeführten Versorgungssystems und führte in der Praxis häufig zu einem verwaltungsintensiven „Flickenteppich“ aus Versorgungsregelungen im Unternehmen.

Die Möglichkeit einer „ablösenden Gesamtzusage“ bringt der betrieblichen Altersversorgung eine neue Flexibilität. Arbeitgeber können nunmehr - auch wenn kein Betriebsrat besteht -, beispielsweise in wirtschaftlichen Krisen, Anpassungen des Versorgungssystems vornehmen. Sie sind zudem in der Lage, auf Gesetzes- und Rechtsprechungsänderungen zu reagieren. Auslagerungen von Belegschaften auf bilanzneutrale Durchführungswege, wie den Pensionsfonds, werden ebenfalls erleichtert. Dass hierbei die Interessen der Versorgungsberechtigten gewahrt bleiben, sichert das Bundesarbeitsgericht durch die materielle Überprüfung der Änderungen im Wege der Vertrauensschutz- und Verhältnismäßigkeitsprüfung ab.

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