Marco Westermann - 13 Mai 2015

BAG-Urteil zum Eingriff in bestehende Versorgungszusagen

BAG Urteil vom 09.12.2014, 3 AZR 323/ 13

Änderungen einer Versorgungszusage, die dienstzeitabhängige, noch nicht erdiente Zuwächse betreffen, bedürfen zur Rechtfertigung sachlich-proportionaler Gründe

Sachlich-proportionale Gründen müssen nachvollziehbar, anerkennenswert und willkürfrei sein

Ein sachlich-proportionaler Grund besteht, wenn ein Konzern, der die Unternehmensanteile hält, wirtschaftliche Schwierigkeiten hat und der bAV-Eingriff nicht unverhältnismäßig ist


Sachverhalt (vereinfacht dargestellt)

Der 1960 geborene Beklagte war seit 1987 bei den Rechtsvorgängerinnen der Beklagten beschäftigt. Zu Beginn seines Arbeitsverhältnisses erhielt er eine Versorgungszusage gemäß der „Betriebsvereinbarung über die Versorgungsordnung der NW S AG“ (BV 1997). In den folgenden Jahren erfolgten diverse Betriebsübergänge und Verschmelzungen. Die beklagte Arbeitgeberin gehörte letztlich zum Konzern der E K AG. Diese kündigte im Jahr 2003 gegenüber dem Gesamtbetriebsrat „sämtliche Regelwerke über die bAV“. Es erfolgte eine Versorgungsneuordnung durch die „BV Neuordnung“. Im Jahr 2006 teilte man dem Kläger seinen auf der Grundlage der „BV Neuordnung“ festgeschriebenen Versorgungsprozentsatz mit. Der Kläger war der Auffassung, dass sich seine Ansprüche weiterhin nach der BV 1997 richten, da die BV Neuordnung die BV 1997 nicht wirksam abgelöst habe. Diese griffe unzulässig in die erdiente Dynamik ein. Die zur Rechtfertigung eines solchen Eingriffs erforderlichen triftigen Gründe (2. Stufe der „3-Stufen-Theorie“) lägen nicht vor.

Die vorherigen Instanzen hatten der Klage stattgegeben, woraufhin die Beklagte Revision einlegte.


Entscheidung

Das BAG konnte in der Sache zwar nicht abschließend entscheiden und wies die Klage an das LAG zurück. Es machte jedoch deutliche Ausführungen zu dem von ihm entwickelten dreistufigen Prüfungsschema. Bei zeitlich aufeinander folgenden Betriebsvereinbarungen mit demselben Regelungsgegenstand gelte zwar das Ablösungsprinzip. Bei Eingriffen in die Betriebsrentenanwartschaften seien jedoch die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Sie werden in ständiger Rechtsprechung des BAG durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert. Ob eine spätere Betriebsvereinbarung in Besitzstände eingreift, kann nur im jeweiligen Einzelfall festgestellt werden. Dafür müssen Versorgungsansprüche bzw. -anwartschaften nach beiden Versorgungsordnungen berechnet und anschließend gegenübergestellt werden. Daher kann insbesondere bei endgehaltsbezogenen Versorgungszusagen — so lag der Fall hier — regelmäßig erst beim Ausscheiden festgestellt werden, ob mit der ablösenden Neuordnung in bestehende Besitzstände eingegriffen wird.

Im konkreten Fall erklärte das BAG, dass die BV Neuordnung nicht zu einem Eingriff in die erdiente Dynamik beim Kläger führe. Vielmehr — und darüber seien sich auch beide Parteien einig — könnte die BV Neuordnung in künftige dienstzeitabhängige Zuwächse eingreifen, was aber auch erst durch eine Vergleichsberechnung festzustellen sei. Ein solcher Eingriff auf der dritten Besitzstandsstufe ist nach der Rechtsprechung des BAG jedoch schon beim Vorliegen sachlich-proportionaler Gründe gerechtfertigt. Unter solchen sind nachvollziehbare, anerkennenswerte und damit willkürfreie Gründe zu verstehen. Diese können auf einer Fehlentwicklung der betrieblichen Altersversorgung oder einer wirtschaftlich ungünstigen Entwicklung des Unternehmens beruhen. Beruft sich der Arbeitgeber auf wirtschaftliche Schwierigkeiten, kommt es zwar grundsätzlich auf die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens an, das Versorgungsschuldner ist. Ist der Arbeitgeber in einen Konzern eingebunden, können Verflechtungen innerhalb des Konzerns allerdings dazu führen, dass eine konzerneinheitliche Betrachtung geboten ist. In diesem Fall darf der Arbeitgeber gegebenenfalls wirtschaftliche Schwierigkeiten im Konzern zum Anlass für Eingriffe auf der dritten Besitzstandsstufe, mithin für Eingriffe in die noch nicht erdienten dienstzeitabhängigen Zuwächse, vornehmen. Da das LAG in der vorherigen Instanz hingegen den Rechtsbegriff der sachlich-proportionalen Gründe verkannt und zu strenge Anforderungen an diese gestellt hatte, hatte die Revision der Beklagten Erfolg.


Fazit

Wenn in die Anwartschaften der bAV eingegriffen wird, wird die Zulässigkeit des Eingriffs anhand des vom BAG entwickelten, dreistufigen Prüfungssystems beurteilt. Das BAG erklärte in dieser Entscheidung nichts Neues. Es machte aber deutlich, dass die Anforderungen an das Vorliegen sachlich-proportionaler Gründe nicht überspannt werden dürften. Sie müssen gerade nicht das für einen triftigen Grund erforderliche Gewicht erreicht haben, der für die Rechtfertigung eines Eingriffs auf der zweiten Stufe nötig ist. Es ist vielmehr bereits ausreichend, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten vorliegen, auf die ein vernünftiger Unternehmer reagieren darf. Ebenfalls beachtenswert ist der Hinweis, dass diese sachlich-proportionalen Gründe auch in Konzernverflechtungen liegen können. Jedenfalls wenn der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende Konzern sämtliche Anteile an dem die Versorgung schuldenden Arbeitgeber hält und dessen einziger Unternehmenszweck in der „Leitung einer Gruppe von Unternehmen“ liegt, sind sachlich-proportionale Gründe anzunehmen.

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