BAG zur Regelung eines Kapitalwahlrechts des Arbeitgebers in einer Versorgungszusage
- Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 17.01.2023 – 3 AZR 501/21
- Ein in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Versorgungsschuldners geregeltes Recht, nach seiner Entscheidung anstelle der Zahlung laufender Renten eine mindestens barwertgleiche, einmalige Kapitalzahlung zu leisten, ist mit § 308 Nr. 4 BGB vereinbar
- Die konkrete Ausübung der Ersetzungsbefugnis muss jedoch die Grenzen billigen Ermessens i.S.v. § 315 BGB wahren
- Die vertragliche Ersetzungsbefugnis stellt keine unzulässige Abfindung einer Versorgungsanwartschaft bzw. laufender Leistungen i.S.v. § 3 Abs. 1 BetrAVG dar, da sie die konkrete Versorgungszusage erfüllt
Sachverhalt (vereinfacht dargestellt):
Die Parteien streiten darüber, ob die ehemalige Arbeitgeberin (= Beklagte) berechtigt ist, anstelle einer laufenden Altersrente eine einmalige Kapitalzahlung zu erbringen.
Dem ehemaligen Arbeitnehmer (= Kläger) wurden seitens der Beklagten betriebliche Versorgungsleistungen zugesagt. Die neueste Fassung der Versorgungszusage beinhaltete folgende Regelung:
„Die Firma behält sich vor, anstelle der Renten eine wertgleiche, einmalige Kapitalabfindung zu zahlen; hierdurch erlöschen sämtliche Ansprüche aus dieser Versorgungszusage. Die Höhe der einmaligen Kapitalzahlung entspricht dem Barwert der künftigen Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften, ermittelt nach den Rechnungsgrundlagen des versicherungsmathematischen Gutachtens über die Höhe der ertragssteuerlich zulässigen Pensionsrückstellung gemäß § 6a EStG zum letzten Bilanztermin vor der Abfindung.“
Von dieser Option, eine einmalige Kapitalleistung zu zahlen, wollte die Beklagte zum Rentenbeginn im Oktober 2020 Gebrauch machen. Der Wert der Kapitalleistung sollte dabei dem versicherungsmathematischen Barwert der monatlichen Altersrente entsprechen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass er einen Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Altersrente habe. Die Beklagte hingegen vertritt die Ansicht, dass durch die Zahlung eines wertgleichen Kapitalbetrags der Anspruch aus der Zusage erfüllt sei.
In den Vorinstanzen blieb die Klage des ehemaligen Arbeitnehmers erfolglos (zuletzt LAG Hamm, Urteil vom 11.08.2021 – 4 Sa 221/21). Letztinstanzlich hatte die Revision des Klägers Erfolg. Das BAG hat das Urteil des LAG Hamm aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.
Entscheidung:
Das BAG entschied, dass durch die Zahlung eines wertgleichen Kapitalbetrags der Anspruch aus der Zusage grundsätzlich erfüllt sein kann.
Die Regelung in der Zusage stelle keine Wahlschuld i.S.v. § 262 BGB, sondern eine – gesetzlich nicht geregelte – Ersetzungsbefugnis der Arbeitgeberin dar. Im Rahmen der Wahlschuld gibt es zunächst die Wahl zwischen zwei Leistungen. Der Schuldner ist nach Ausübung der Wahl nur zu dieser einen Leistung verpflichtet, der Gläubiger hat nur eine Forderung. Bei der Ersetzungsbefugnis ist von Anfang an nur eine Leistung zugesagt, die aber nachträglich durch eine andere ersetzt werden kann.
Nach Ansicht des BAG stellt die Ersetzungsbefugnis auch keine unzulässige Abfindung i.Sv. § 3 Abs. 1 BetrAVG dar. Mit ihr werde nicht auf eine Anwartschaft oder eine laufende Leistung verzichtet, vielmehr werde mit der Kapitalleistung der Anspruch aus der Versorgungszusage erfüllt. Das Kapitalwahlrecht kann nach Ansicht des BAG allerdings nur bis zum Beginn des Leistungszeitraums ausgeübt werden. Danach müssten die Voraussetzungen von § 3 BetrAVG erfüllt sein.
Die Regelung in der Versorgungszusage, wonach der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, statt einer lebenslangen Altersrente eine wertgleiche, einmalige Kapitalzahlung zu leisten, ist nach Ansicht des BAG auch i.S.v. § 308 Nr. 4 BGB wirksam. Gemäß § 308 Nr. 4 BGB ist eine Regelung über die Änderung oder Abweichung von der versprochenen Leistung nur dann wirksam, wenn dies unter Abwägung der beiderseitigen Interessen für den Versorgungsberechtigten zumutbar ist. Der Arbeitgeber habe bei Zusageerteilung ein Interesse daran, die auf Dauer angelegte Versorgungsverpflichtung kalkulierbar zu halten und auf wirtschaftliche Veränderungen reagieren zu können bzw. Verwaltungsaufwand zu reduzieren und damit ein Interesse an der Ersetzung der zugesagten Rentenleistungen. Der Versorgungsberechtigte habe ein Interesse an der Beibehaltung der einmal zugesagten lebenslangen Rentenleistungen.
Laut BAG muss die konkrete Ausübung der Ersetzungsbefugnis jedoch die Grenzen billigen Ermessens i.S.v. § 315 BGB wahren. D.h., im Zeitpunkt der Ausübung der Ersetzungsbefugnis ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Ob die Beibehaltung der Rentenzahlungen vorliegend gewichtiger als die Ersetzung durch die Kapitalzahlung ist, konnte das BAG nicht abschließend bewerten. Die insoweit erforderliche Abwägung der beiderseitigen Interessen hat das LAG Hamm nun vorzunehmen. Insoweit ist derzeit weiterhin offen, ob im konkreten Fall ein Anspruch auf Zahlung der laufenden Renten besteht.
Hinweis:
Mit diesem Urteil hat das BAG entschieden, dass eine Regelung, wonach der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, statt einer lebenslangen Altersrente eine einmalige Kapitalzahlung zu leisten, grundsätzlich dann wirksam vereinbart werden kann, wenn die Kapitalzahlung wertgleich zur Altersrente ist.
Mit Entscheidung vom selben Tag (3 AZR 220/22) hatte das BAG eine weitere Entscheidung im Themenkomplex „Kapital versus Rente“ getroffen. Die dort zugrundeliegende Regelung, die eine Ersetzung durch eine nicht mindestens wertgleiche Kapitalleistung vorsah, ist nach konsequenter Ansicht des BAG für den Versorgungsberechtigten unzumutbar und daher unwirksam. Wir haben an entsprechender Stelle berichtet: HPM Newsletter vom 31.03.2023.
Die im genannten Artikel aufgeworfene Frage hinsichtlich einer Entscheidung bei Regelung einer Wahlschuld bleibt weiterhin offen.
Allerdings muss die im Rahmen der Ausübung der Ersetzungsbefugnis vorzunehmende Interessenabwägung billigem Ermessen i.S.v. § 315 BGB entsprechen. Insoweit dürften dann die im o.g. Artikel bereits angesprochenen Grundsätze des BAG Urteils vom 15.05.2012 (3 AZR 11/10) anwendbar sein.
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