Was Sie (vielleicht) schon immer über die bAV wissen wollten – Unverfallbarkeit oder: keine Kopfschmerzen wegen der bAV!
- Anwartschaften auf bAV gehen auch bei vorzeitigem Ausscheiden meist nicht verloren
- Zunächst ist die Frage zu klären, ob eine Anwartschaft erhalten bleibt und dann deren Höhe
- Die Regelungen zur Unverfallbarkeit sind fair, aber auch komplex
Kennen Sie das: Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, da erinnert der Wecker schon erbarmungslos an einen neuen (Arbeits-) Tag. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, stellt man mit dem Erwachen auch noch fest, dass man offenbar wieder falsch gelegen hat und der Nacken total verspannt ist. Trotz einer heißen Dusche und einem Koffeinkick will die Spannung nicht weichen und entwickelt sich stattdessen in den folgenden Stunden zu einem respektablen Kopfschmerz. Es hilft nichts: Irgendwann im Laufe des Vormittags kommt der Griff in die Schublade nach der Packung Aspirin (wahlweise Ibuprofen oder Paracetamol, oder …), um die ersehnte Schmerzlinderung herbeizuführen. Noch ein flüchtiger Blick auf das Verfallsdatum und dann der Schock: Das Zeug ist seit drei Jahren abgelaufen und vermutlich hat sich die Acetylsalicylsäure in der Packung inzwischen in ihre Bestandteile zerlegt. In so einem Moment hilft dann nur noch eine nette Kollegin oder ein netter Kollege, der mit einer Tablette aushilft und so den Rest des Tages erträglich macht.
In genau dieser Situation fühlte sich der Autor dieses Beitrags, der natürlich rund um die Uhr nur an die betriebliche Altersversorgung (bAV) denkt, einmal mehr in seiner Überzeugung bestätigt, dass die bAV doch eine gute Sache ist. Denn anders als das Aspirin in seiner Schublade ist seine bAV inzwischen unverfallbar. Während das Medikament altert und unbrauchbar wird, gewinnt die bAV mit der Zeit an Wert und Beständigkeit. Und das ist so, weil der Gesetzgeber das akkurat geregelt hat. Das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) definiert u.a. in seinem § 1b die Unverfallbarkeit dem Grunde nach und im § 2 die Unverfallbarkeit der Höhe nach. Im Folgenden wird die Unverfallbarkeit der bAV beschrieben, ohne jedoch auf alle Spezifika eingehen zu können, die sich z.B. aus Übergangsvorschriften ergeben können.
Was hat es mit der Unverfallbarkeit auf sich?
Die Zusage von Leistungen der bAV ist ein – in vielen Fällen nicht unerheblicher – Bestandteil der Gesamtvergütung des Arbeitnehmers. Die bAV wird als personalpolitisches Instrument eingesetzt, mit dem Mitarbeiter gewonnen, motiviert und an das Unternehmen gebunden werden sollen. So wird mit der bAV auch die Betriebstreue honoriert. Doch was geschieht, wenn der begünstigte Arbeitnehmer nicht bis zum Eintritt des Leistungsfalles betriebstreu bleibt oder bleiben kann, weil ihn das Unternehmen entlässt? Der Verlust der bAV-Anwartschaft träfe ihn sicherlich härter als das abgelaufene Aspirin in der Schublade. Mit den Regelungen des Betriebsrentengesetzes wird daher der Verlust von schützenswerten bAV-Anwartschaften verhindert, indem diese im Falle der vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses anteilig aufrechterhalten werden.
Neben der gesetzlichen Unverfallbarkeit sind für bestimmte Konstellationen auch vertragliche Unverfallbarkeitsregelungen zwischen Arbeitgeber und Versorgungsberechtigtem üblich und sinnvoll. Diese sind immer dann geboten, wenn der Schutz vor der Verfallbarkeit der Anwartschaft über den gesetzlichen Rahmen hinaus erweitert werden soll oder wenn der Versorgungsberechtigte nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des Betriebsrentengesetzes fällt. Dies ist z.B. bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern von GmbHs der Fall.
Unverfallbarkeit dem Grunde nach (§ 1b i.V.m. § 30f BetrAVG)
Zunächst stellt sich die Frage, ob eine Anwartschaft auf bAV überhaupt unverfallbar ist. Man prüft also die Unverfallbarkeit dem Grunde nach.
Bei der gesetzlichen Unverfallbarkeit ist nach arbeitgeberfinanzierter und arbeitnehmerfinanzierter bAV zu unterscheiden.
a) Unverfallbarkeit bei arbeitgeberfinanzierten Zusagen:
Zusagen, die vor dem 01.01.2001 erteilt worden sind
- Alter beim Ausscheiden mind. 35 Jahre und 10 Jahre im Zusagebesitz oder
- Betriebszugehörigkeit von mind. 12 Jahren und 3 Jahre im Zusagebesitz
- Für am 01.01.2001 aktive Arbeitnehmer, die zum 31.12.2005 oder danach ausgeschieden sind, besteht eine Unverfallbarkeit auch, wenn sie bei Ausscheiden mind. 30 Jahre alt sind
Zusagen, die nach dem 31.12.2000 und vor dem 01.01.2009 erteilt worden sind
- Ausscheiden vor 31.12.2013:
Alter beim Ausscheiden mind. 30 Jahre und 5 Jahre im Zusagebesitz - Ausscheiden zum bzw. nach 31.12.2013:
Alter beim Ausscheiden mind. 25 Jahre und 5 Jahre im Zusagebesitz
Zusagen, die nach dem 31.12.2008 und vor dem 01.01.2018 erteilt worden sind
- Alter beim Ausscheiden mind. 25 Jahre und 5 Jahre im Zusagebesitz oder
- Bestand der Zusage ab dem 01.01.2018 mindestens 3 Jahre und Alter beim Ausscheiden mind. 21 Jahre
Zusagen, die ab dem 31.12.2018 erteilt worden sind oder werden
Alter beim Ausscheiden mindestens 21 Jahre und 3 Jahre im Zusagebesitz
Bei den Angaben zum „Alter“ handelt es sich um die Vollendung des jeweiligen Lebensjahres des Versorgungsberechtigten.
Altersrentenanwartschaften aus einer reinen Beitragszusage sind stets sofort unverfallbar (§ 22 Abs. 2 BetrAVG).
Laufende Versorgungsleistungen, also Leistungen nach Eintritt des Versorgungsfalles (Alter, Tod, Invalidität), sind ebenfalls stets unverfallbar.
Anwartschaften bleiben erhalten, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Vorruhestandsregelung ausscheidet und ohne das vorzeitige Ausscheiden die Leistungsvoraussetzungen erfüllt hätte.
b) Unverfallbarkeit bei arbeitnehmerfinanzierten Zusagen (Entgeltumwandlung):
Für Versorgungszusagen durch Entgeltumwandlung, die nach dem 31.12.2000 erteilt worden sind oder erteilt werden, gilt die sofortige Unverfallbarkeit.
Anwartschaften aus Versorgungszusagen durch Entgeltumwandlung, die vor dem 01.01.2001 erteilt wurden, sind unverfallbar, wenn
- Alter beim Ausscheiden mind. 35 Jahre und 10 Jahre im Zusagebesitz
oder
- Betriebszugehörigkeit von mind. 12 Jahren und 3 Jahre im Zusagebesitz
Unverfallbarkeit der Höhe nach (§ 2 BetrAVG)
Wurde festgestellt, dass eine Anwartschaft auf Leistungen der bAV dem Grunde nach unverfallbar ist, stellt sich als nächstes natürlich die Frage nach der Höhe der aufrecht zu erhaltenden Anwartschaft. Die Regelungen hierzu finden sich in § 2 BetrAVG und sind recht komplex.
Der Grundsatz ist das sogenannten Quotierungsverfahren, mit dem die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft zeitanteilig (quotiert) ermittelt wird. Das Quotierungsverfahren findet Anwendung bei Leistungszusagen in allen Durchführungswegen der bAV sowie bei beitragsorientierten Leistungszusagen in den Durchführungswegen Direktversicherung und Pensionskasse, sofern dort nicht die sogenannte versicherungsvertragliche Lösung angewendet wird (siehe dazu weiter unten).
Beim Quotierungsverfahren - auch als m/n-tel-Verfahren bezeichnet - wird der Vollanspruch auf Versorgungsleistungen im Verhältnis der tatsächlich erbrachten Dienstzeit (m) zur insgesamt möglichen Dienstzeit (n) ermittelt:
Beispiel:
Tatsächliche Betriebszugehörigkeit beim Ausscheiden 26 Jahre
Mögliche Betriebszugehörigkeit bis zur Altersgrenze 40 Jahre
Unverfallbarkeitsquotient: m/n = 26/40 65 %
mtl. Festrentenzusage bei Erreichen der Altersrente 600 Euro
mtl. unverfallbarer Anspruch: 600 Euro x 65 % 390 Euro
Bei beitragsorientierten Leistungszusagen in den Durchführungswegen Pensionszusage, Unterstützungskasse und Pensionsfonds sowie für Zusagen, die in diesen Durchführungswegen durch Entgeltumwandlung finanziert worden sind, gilt:
Die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft ist auf den Betrag begrenzt, der sich aus den bis zum Ausscheiden aufgewendeten (umgewandelten) Beiträgen ergibt.
In den Durchführungswegen Direktversicherung und Pensionskasse stellt das sogenannte versicherungsvertragliche Verfahren eine Sonderregelung dar, mit der das m/n-tel-Verfahren ersetzt werden kann:
- Voraussetzung für dessen Anwendung ist, dass die folgenden drei soziale Auflagen erfüllt sind
-
Es bestehen keine Abtretung, Beleihung oder Beitragsrückstände; der Arbeitnehmer erhält ein unwiderrufliches Bezugsrecht auf die Versicherungsleitungen binnen drei Monaten nach Ausscheiden aus dem Unternehmen. (gilt nur für die Direktversicherung)
-
Die Überschüsse im Vertrag wurden ausschließlich zur Verbesserung der Leistungen verwendet.
-
Der ausgeschiedene Arbeitnehmer erhält das Recht auf Fortführung des Vertrages mit eigenen Beiträgen.
- Das versicherungsvertragliche Verfahren ist das gesetzliche Standardverfahren, wenn
- die sozialen Auflagen erfüllt sind
- und der Arbeitgeber dem Versicherer das Ausscheiden des Arbeitnehmers angezeigt hat
- Der Arbeitnehmer kann somit den Versicherungsvertrag
- privat fortführen
- beitragsfrei stellen
- oder auf neuen Arbeitgeber übertragen
- Vorteile der versicherungsvertraglichen Lösung
- Begrenzung der Arbeitgeberhaftung auf den Wert des Vertrages
- Möglichkeit der Fortführung der Anwartschaft / des Vertrages für den Arbeitnehmer
- verwaltungsarme Abwicklung der Anwartschaften
Bei der Beitragszusage mit Mindestleistung richtet sich die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft nach dem, dem Arbeitnehmer planmäßig zuzurechnenden Versorgungskapitals mindestens nach der Summe der zugesagten Beiträge abzüglich solcher Beitragsteile, die zur Risikoabsicherung (Tod, Invalidität) „verbraucht" worden sind.
Und für die reine Beitragszusage gilt: Die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft richtet sich allein nach dem, dem Arbeitnehmer zuzurechnenden Versorgungskapital einschließlich der Erträge (§ 22 Abs. 2 BetrAVG). Weil bei der Beitragszusage keine Leistungen der Höhe nach garantiert werden dürfen, erfolgt dies konsequenter Weise auch nicht im Hinblick auf die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft.
Weiterführende Links:
Zusagearten der bAV
Durchführungswege der bAV
Fazit:
Dass es sich beim Betriebsrentengesetz um ein Arbeitnehmer-Schutzgesetz handelt manifestiert sich insbesondere an seinen detaillierten Regelungen zur Unverfallbarkeit. So bietet die bAV eine hohe Attraktivität und Sicherheit für Arbeitnehmer, ohne Arbeitgeber über Gebühr zu beanspruchen. Die vorstehenden Ausführungen machen aber deutlich, dass auch die Regelungen zur Unverfallbarkeit äußerst komplex sind. Die Anwendung der gesetzlichen Normen auf Praxisfälle ist daher nicht immer ganz einfach. Entstehen dabei Kopfschmerzen, sollte nicht (allein) auf Aspirin gesetzt werden, sondern auf das Knowhow von Experten.
Sie möchten in Ihrem Unternehmen eine bAV einrichten oder ein vorhandenes Versorgungswerk anpassen? Unsere Experten stehen Ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot für diese und weitere Dienstleistungen.
BAG-Urteil zur Auslegung einer Versorgungsordnung